Heute spielten Karpaty ihr drittes Spiel der Rückrunde in der ersten Phase der ukrainischen Premier Liha auswärts bei Mariupol. Bei den beiden „Todes-Eröffnungsspielen“ gegen Dynamo und Shakhtar war immerhin ein Punkt herausgekommen, mehr als erwartet, aber die Vorstellung letzte Woche zu hause gegen Shakhtar war nicht gerade berauschend gewesen. Zudem ist die Mannschaft noch von Verletzungssorgen geplagt: neben dem Langzeitpatienten Oleksandr Kutscher fehlt weiterhin Oleksij Hutsulyak, neu auf der Patientenliste sind Roman Pidkivka und Nasar Verbnyj mit kleineren Verletzungen und Kiril Kirylenka mit einer Virusinfektion.

Entsprechend konnte die Mannschaft erneut nicht in Bestbesetzung antreten. Was herauskam, war das 3:2:3:2-System (oder 5:3:2) der letzten zwei Spiele mit Kudryk im Tor, davor Veremiyenko, Hall und Vakulenko, auf den Flanken Martins und Dubinchak, davor Klyots, Nasaryna und Di Franco und als Sturm Jennings und Ponde.
Auf der Bank saßen U21-Torwart Artym, für das Mittelfeld Lyakh, Yakimets‘, Vojkovic und Kosak sowie für die Offensive der junge Deda, der letzte Woche mit einem Kurzeinsatz zu seinem Debüt gekommen war. Mittelstürmer Boiciuc hatte gestern bei der U21 gespielt und stand nicht im Aufgebot.
Karpaty begannen mit mehr Ballbesitz und hatten ihre erste Torchance nach 6 Minuten bei einem Freistoß. Mariupol setzte zu hause auf Konter, und immer, wenn Vakula an den Ball kam, wurde es auch sofort gefährlich. Das manifestierte sich bereits nach 14 Minuten: die Karpaty Abwehr war bis zur Mittellinie aufgerückt, Vakula spielte den Ball in die Lücke zwischen den Abwehrspielern an die Mittellinie auf Myschnov, der lief links durch und spielte dann quer auf den freistehenden Churko, der ungefährdet allein vor Kudryk einschob.
So hatten Karpaty wieder einmal mit einem frühen Rückstand zu tun, und das Defensivkonzept mit den 5 Verteidigern hatte sich nicht ausgezahlt. Karpaty mussten auf ein Tor drängen, aber zu so richtig großen Chancen reichte es dabei nicht. Tatsächlich erarbeitete sich Mariupol über den Rest der ersten Hälfte immer mehr Ballbesitz und kam selber noch zu einigen Möglichkeiten, die aber nichts einbrachten. Es ging mit einem dem Spielverlauf nach völlig verdienten 1:0 für Mariupol in die Pause.
Zu Beginn der zweiten Hälfte wurde gewechselt. Der bereits gelbbelastete Di Franco ging für Jaroslaw Deda, der somit zu einem etwas längeren zweiten Einsatz in der ersten Mannschaft kam. Der empfahl sich auch gleich mit einem schönen Flankenlauf links, der mit einem Schuss von Nasaryna abgeschlossen wurde, aber zu schwach war, um Torwart Halchuk zu gefährden. Dennoch sah das schon gefährlicher aus als das, was die Mannschaft in der ersten Hälfte zustande gebracht hatte. Deda wirkte auch gleich in der nächsten Szene vor dem gegnerischen Tor stark, und man bekam den Eindruck, dass vielleicht doch noch etwas ging.
Eine kuriose Szene folgte nach 50 Minuten, als der Schiedsrichter dem Torwartrainer von Karpaty rot für Meckern zeigte. Er hatte sich darüber aufgeregt, dass es nach einer leicht unfairen, aber nicht elfmeterreifen Szene im Strafraum keinen Strafstoß gegeben hatte.
Aber dieser Schwung wurde jäh unterbrochen – nach 54 Minuten erzielte Myschnov das 2:0 nach einem weiten Abstoß und katastrophaler Abwehrarbeit von Tim Hall, der den in den Strafraum gespielten Ball hatte, aber direkt dem Torschützen vor die Füße köpfte. Karpaty wirkten geschockt, und Mariupol hätte bequem gleich in der nächsten Situation erhöhen können, wenn nicht Kudryk sich in wirklich jeden Ball warf und die Versäumnisse seiner Vorderleute ausputzte.
Trotzdem fiel völlig überraschend schon vier Minuten später der Anschlusstreffer, und der war richtig schön herausgespielt. Dubinchak war links durchgelaufen, hatte in den Strafraum geflankt, wo Ponde mit dem Kopf auf Nasaryna verlängerte, der aus kurzer Distanz flach einschob. Also war es wieder beim Alten, und wie eben schon beim Tor für Mariupol folgte auch hier umgehend eine weitere Großchance, die aber Ponde verspielte, der mit viel Platz links vom Fünfmeterraum den Ball direkt dem Gegner in die Füße spielte.
Nach 71 Minuten kam Lorenzen für Jennings, der wieder viel gelaufen war, aber auch etwas glücklos wirkte. Kurz darauf kam Vojkovic für Vakulenko, der angeschlagen wirkte und nicht weitermachen konnte. Das Spielsystem wurde damit auf eine Viererkette umgestellt, und Vojkovic positionierte sich im offensiven Mittelfeld.
Das ganze Spiel war schon recht hart geführt worden, wobei in der ersten Halbzeit Karpaty eifrig gelbe Karten gesammelt hatten, und nun ging das mit umgekehrten Vorzeichen weiter. Nach einem daraus resultierenden Freistoß entwickelte sich eine Riesenchance für Deda, der den Ball zwischen Freund und Feind und am Torwart vorbei steckte, aber dann an einem auf der Linie stehenden Verteidiger scheiterte, der gerade noch zur Ecke klären konnte.
Die Karpaty-Angriffe waren nun anders als noch in der ersten Hälfte richtig gefährlich, und meistens war Deda da irgendwie involviert. Nach 84 Minuten tankte er sich an der Strafraumgrenze durch und zog aus 16 Metern ab, setzte den Ball aber über das Tor. Mariupol wirkte in dieser Phase überhaupt nicht souverän und ließ sich phasenweise nicht nur einschnüren, sondern regelrecht ausspielen.
Es gab in diesen letzten Minuten des Spiel Schuss auf Schuss, aber es fehlte dann doch meist an Genauigkeit, und die Uhr tickte. Es gab 3 Minuten Nachspielzeit. Karpaty drängten mit aller Macht auf den Ausgleich, natürlich mussten nun hohe Bälle her. Bei einem solchen wurde im Menschenknäuel vor dem Tor Deda umgerissen, und 30 Sekunden vor dem Abpfiff gab es Elfmeter. Dies war natürlich ein Stressmoment für Karpaty – sowohl Hutsulyak als auch Ponde hatten in den letzten Spielen ihre Strafstöße vergeben. Es war also Zeit für einen neuen Schützen: Yehor Nasaryna trat an – und verwandelte sicher.
Das Spiel war zu Ende. Karpaty hatten nach großem Kampf am Ende verdient einen Punkt errungen. Der war auch, wenn man die Steigerung in der zweiten Hälfte (und das Nachlassen bei Mariupol) berücksichtigt, durchaus verdient. Aber so sehr man sich über diesen Punkt freut, hatte die Mannschaft auch heute wieder riesige Probleme offenbart, Spielanteile in Tore umzusetzen.
Auch die Abwehr war in keiner guten Verfassung, und die defensive Aufstellung mit 5 Verteidigern sorgte nicht für die erhoffte Stabilität hinten. Tim Hall hatte durch seinen Fehler das 2:0 ermöglicht, und er leistete sich heute auch einige andere Schwächen. Trotz der zwei Gegentreffer war Kudryk heute klar Mann des Tages, und das ist natürlich kein Kompliment für seine Vorderleute. Und dass trotz einer Fünferkette hinten zwei Tore durch vertikales Spiel in eine völlig offene Karpaty-Hälfte erzielt wurden, hat schon eine gewisse Aussagekraft.
Das Mittelfeld wirkte stärker. Nasaryna agierte als Spielmacher und belohnte sich selber durch die zwei Tore. Aber noch auffälliger als er war der in der zweiten Hälfte für Di Franko gekommene Jaroslaw Deda. Er hatte heute sein zweites Spiel überhaupt für die erste Mannschaft, und mit seiner Einwechselung kam da vorn richtig Leben in die Bude – er ist schnell, dribbelstark und schließt ab, wenn er die Möglichkeit hat. Natürlich wird er mit dem Auftritt heute nicht von heute auf Morgen zu einem zweiten Marian Shved, aber er zeigt doch, dass er einiges Potential hat, und das braucht die Mannschaft in der Offensive nach wie vor dringend. Enttäuschend auf der anderen Seite war wiederum der Ex-Bremer Melvyn Lorenzen, der sich einige unnötige Ballverluste leistete und sonst nicht besonders in Erscheinung trat.
Das Spielsystem, mit dem gegen Dynamo immerhin ein Punkt gewonnen worden war, erwies sich gegen diesen Gegner als wenig hilfreich. Erst, als in der zweiten Hälfte auch personell ein Riegel im Mittelfeld aufgebaut wurde, musste man nicht mehr permanent Angst vor einem Gegentor haben. Die meisten Gegner, die in dieser Rückrunde noch warten, sind keine Übermannschaften, gegen die man mit Mann und Maus verteidigen muss, hier scheint ein Stil, der auf Dominanz abzielt, sinnvoller – wenn man dann endlich lernt, wie man Ballbesitz auch in Tore auf der richtigen Seite umsetzt.
Am kommenden Wochenende ist erst einmal Länderspielpause. Das kommt auch allein deshalb schon gelegen, weil doch zur Zeit einige Spieler wegen Verletzung ausfallen, denen ein wenig mehr Zeit zur Genesung sicher hilft. In zwei Wochen dann am Sonntag geht es zu hause gegen Olimpik, das sich in den letzten Wochen vom Tabellenende an Karpaty vorbei geschoben hatte, aber dennoch schlagbar sein sollte.