Andrij Tlumak im Interview: mit Fußball in Lviv verbinden 90% Karpaty

Andrij Tlumak ist nicht nur als Spieler eine Clublegende, er schickt sich aktuell auch an, als Cheftrainer des wiedergeborenen FK Karpaty den Club wieder in höhere Sphären zu führen. In seinem großen Interview mit uns gab uns Andrij Einblicke in seine Philosophie beim Kaderaufbau, sein bevorzugtes Spielsystem und vieles mehr.

Ich habe gehört, dass Sie den Deutschen Fußball lieben?

Ich habe Bayern schon immer gemocht, vor allem als es von Guardiola trainiert wurde, da habe ich mir alle Spiele angeschaut.

Der FC Bayern ist ja in Deutschland umstritten, weil die den Ruf haben, der Konkurrenz systematisch das beste Personal abzuwerben?

Es ist eine normale Praxis großer Clubs, die besten Spieler aufzukaufen, und in der Ukraine tun das Shakhtar und Dynamo nicht anders. Wir selber haben übrigens heute einen 17-jährigen Spieler verpflichtet, haben ihn gerade so überzeugen können, bei uns zu unterschreiben. Shakhtar und Dynamo wollten ihn, er ist ein Spieler mit Perspektive.

Mit der Erfahrung aus Ihrer Zeit bei Volyn’ wissen Sie nun, wie man die Perscha Liha gewinnt?

Leider noch nicht ganz. Wir haben 2 Mal im Finale der Perscha Liha gespielt und verloren, das dritte Mal müssen wir gewinnen, aber Gott liebt die Dreifaltigkeit.

Was ist der Unterschied zwischen der Perscha und Druha Liha? 

In der Perscha Liha gibt es stärkere Teams, starke Gegner, die in die UPL wollen. Die Druha Liha hat doch schwächere Teams. Es gibt dort 3-4 Mannschaften, die das Niveau der Perscha Liha haben, und die wichtigsten Spiele sind die dieser Mannschaften untereinander. Die Perscha Liha ist interessanter.

Aktuell haben Sie eine Mannschaft aus guten und erfahrenen Spielern, die bisher in der Druha Liha eine erfolgreiche Saison gespielt haben. Eine ganze Reihe Spieler sind aber schon über 30 Jahre alt. Wie wird sich der Kader über die nächsten Jahre entwickeln?

Zuerst musst Du die Perscha Liha erreichen. Es wird klar Veränderungen geben, aber die „älteren“ Spieler werden in der Lage sein, jungen Spielern für weitere 3-4 Jahre einen Vorsprung zu verschaffen, also werden wir die erfahrenen nicht aufgeben und dazu bessere mittelalte und junge Spieler verpflichten.

Ich werde die  Mannschaft nach dem gleichen Prinzip aufbauen wie in Lutsk: 30% Veteranen, 30% junge und 40% Mittelalte, weil das ganze Team auf Spielern mittleren Alters aufgebaut ist.

Das Team besteht aus 23 Spielern, darunter 4 Torhüter. Spielt da die Liebe zu Ihrer alten Position eine Rolle?

Wir hatten 3 Torhüter, davon 2 erfahrene und Sass, Jahrgang 2002. Kurz vor der Saison verletzte sich einer der erfahrenen Torhüter und wir fürchteten, dass die Verletzung schwer und langwierig würde. Zum Glück war das dann nicht so, aber wir wollten sicher gehen und verpflichteten daher noch Vultschyn, um mit unserem jungen Torhüter kein Risiko einzugehen.

Der Kader ist ja dennoch nicht sehr groß. Planen Sie, ihn in der Winterpause noch zu vergrößern?

Die Druha Liha ist die Druha Liha. Es ist sehr schwierig, Qualitätsspieler dahin zu bringen, weil Qualitätsspieler vor allem in der UPL, vielleicht in der Perscha Liha und zuallerletzt in der Druha Liha spielen wollen. Wenn Sie die letzten Interviews einiger unserer erfahrenen Spieler lesen, sagen sie, dass sie nur mir zuliebe zugesagt haben, weil wir eine langjährige Beziehung und Vertrauen zueinander haben.

Natürlich könnten Spieler wie Kozhanov, Siminin, Boldenkov, Pryjmak und Tkatschuk immer noch auf höchstem Niveau spielen, aber sie glaubten an meine Ideen, sie glaubten an Karpaty. Es gibt viele, die eine Zeit bei Karpaty durchlaufen haben, und für sie ist “Karpaty” nicht einfach nur ein Wort, deshalb kamen sie hierher. 

Stellen Sie sich vor, wir hätten 22 Spieler auf dem Niveau von Kozhanov und Siminin und nur 11 könnten auf dem Feld spielen. Wenn wir also Leute mit solchen Namen und solchen Qualitäten auf die Bank setzten, würden wir die Balance im Team zerstören. Es ist nicht immer gut, eine große Anzahl Spieler zu haben. Die Hauptsache ist, dass hochwertige Spieler so lange wie möglich spielen können, wir versuchen sowohl den Trainings- als auch den Erholungsprozess so zu organisieren, dass sie weniger Verletzungen riskieren und sich in die richtige Richtung bewegen.

In der letzten Saison haben viele hoffnungsvolle Talente Karpaty Lviv verlassen. Das tut natürlich jedem Fan im Herzen weh. Planen Sie, im Laufe der Zeit einige von denen nach hause zu holen?

Die besten jungen Spieler der Karpaty-Akademie sind leider zu Rukh gegangen. Die würde ich gern zurückholen, aber das ist fast unrealistisch, weil sie alle Verträge haben und Rukh ein Riesengeld für sie haben will. Aber es gibt auch viele großartige Spieler, mit denen ich in der U19 und der zweiten Mannschaft zusammengearbeitet habe, die ich gerne bei mir sehen würde. Es tut mir sehr weh, wenn Leute Karpaty verlassen. In Lviv ist das eine Mannschaft, die einen besonderen Status hat, mit einer Armee von Fans. Als einmal Leute bei Umfragen auf der Straße gefragt wurden: „Was verbindet Sie mit Fußball in Lviv?“, antworteten 90% der Befragten mit „Karpaty“.

Was halten Sie von Legionären? Könnten Sie sich Spieler aus Brasilien oder Nigeria in Ihrer Mannschaft vorstellen? Plant Ihr Club, irgendwelche Ausländer zu verpflichten?

Wenn es einen qualitativ hochwertigen Spieler gibt, dann gern, kein Problem. Ich weiß, dass es bei unseren Fans dazu eine gewisses Unbehagen gibt. Aber ich glaube immer noch, dass eine andere Kultur, andere Spieler etwas Farbe in das Team bringen. Aber es sollte eben auch nicht nur eine andere Farbe der Spieler sein, sondern Spieler, die dem Team helfen. Zum Beispiel hatten wir so einen Spieler Samson [Godwin, A.d.R.], ein Favorit unseres Lviver Publikums, der von uns allen sehr geliebt wurde. Ebenso Batista, ein Brasilianer, in den sich unsere Zuschauer verliebt hatten, der viele Tore geschossen hat. Von einer solchen Qualität müssen die Spieler sein. Aber Brasilianer zu holen, nur weil sie Brasilianer sind, ist keine Lösung. Wenn sie mir einen Qualitätsspieler bringen, der beweist, dass er gut spielen kann, dann habe ich selbstverständlich nichts dagegen!

Photo: Privatbestand Andrij Tlumak

Aktuell spielt Tschatschua oft als Mittelstürmer. Er ist nicht die Art hochgewachsener Spieler mit starkem Kopfballspiel, und natürlich kann er seiner Mannschaft auf jeder Position helfen. Repräsentiert er ganz einfach Ihre Vision von Angriffsspiel, oder würden Sie gern noch einen starken “klassischen” Mittelstürmer finden?

Tschatschua spielt nicht Mittelstürmer, hat er auch nie gespielt. Wir haben zwei Stürmer – Yevhen Budnik und Maksym Humenyuk. Unser Schema ändert sich während des Spiels ständig, in verschiedenen Bereichen tauchen immer wieder andere Spieler auf. Bei Bayern unter Guardiola nannte man das „falsche Neun“ – so etwas in der Art spielen bei uns Kozhanov und Chachua, die agieren, um Gegenspieler herauszuziehen, aber in Offensivaktionen tauchen sie auch in diesen Zonen auf und wirken daher wie Angreifer.

Das wäre dann sozusagen eine offensiv agierende 10?

Ja, so in der Art.

Das ist dann ein anderes System als das klassische mit dem hoch gewachsenen Mittelstürmer. Einen solchen haben Sie ja auch, Tschipak hat diese Statur, aber ich habe ihn auf dem Platz noch nicht gesehen.

Dazu ist es noch zu früh, er ist erst 18 Jahre alt, und er verliert noch im Wettbewerb gegen unsere beiden Stürmer. Ich liebe mehr den schnelleren Fußball, schnellere Angriffsspieler. Er ist ein junger guter Kerl, ich denke, dass er mit der richtigen Einstellung zu einem guten Spieler heranwachsen und auf jeden Fall seine Chance bekommen wird.

Mich hat sehr beeindruckt, wie gut das System mit drei Innenverteidigern bei Ihnen funktioniert – das haben ja bei Karpaty in der Vergangenheit schon einige Trainer versucht, sind aber alle daran gescheitert. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund, dass es bei Ihnen so gut gelingt?

Wir arbeiten daran, und unsere Flügelspieler haben dabei bestimmte Funktionen, die sonst niemand nutzt. So etwas ähnliches vielleicht wie bei Chelsea. Wir spielen meistens entweder mit 3 oder 5 Verteidigern. Aber wir machen das noch etwas anders, ich hatte das in Lutsk bereits ausprobiert, und wir arbeiten sehr hart an diesem System. Im Detail kann das jetzt nicht verraten, da es meine eigene Entwicklung ist, aber einen Punkt kann ich sagen: wenn wir pressen, haben wir immer noch 4 Verteidiger in der Abwehr, und nur einen in Ballnähe. Wenn wir z.B. auf unserer linken Seite sehr hoch stehen, pressen und angreifen, dann bleibt unser rechter Flügelspieler hinten, und wir haben immer noch eine Viererkette. Dafür braucht man aber eine sehr hohe Bereitschaft der beiden Flügelspieler, denn bei beiden sammelt sich sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung viel Arbeit an. Es erfordert viel Arbeit, und wenn sie nicht voll da sind, müssen sie ausgewechselt werden. Sie haben bestimmt schon gemerkt, dass ich oft die Flügelspieler wechsle, etwa, weil in bestimmten Momenten nicht voll da waren – das mache ich dann quasi aus erzieherischer Sicht. Im letzten Spiel habe ich Halenkov ersetzt, weil er nicht richtig da war. Wenn wir in der ersten Hälfte wechseln, ist das so eine Art Ausbildungsarbeit.

Die Mannschaft hatte einen starken Saisonstart gezeigt, dann aber in der Liga gegen Dinas und LNS verloren. Ich hatte das Gefühl, dass in beiden Spielen nach dem Rückstand die Mannschaft Schwierigkeiten hatte, den Gegner unter Druck zu setzen. Wie haben Sie diese Spiele analysiert, und was waren die Konsequenzen?

Zunächst einmal ist es sehr schwierig, in so kurzer Zeit eine Mannschaft aufzubauen. Wir hatten den Kader im Sommer aufgestellt und dann nur einen Monat Zeit, um alles zusammenzubauen. Wir haben dem Team ein Spielsystem vorgestellt, das sehr schwierig, aber auch sehr effektiv ist. Wenn Sie den Weltfußball verfolgen – Ihr deutscher Trainer, als er von PSG zu Chelsea kam, stellte seiner Mannschaft das gleiche Schema von 3 Verteidigern vor, das wir verwenden. Und wir können selber sehen, wie sich Chelsea verändert hat, nach sehr kurzer Zeit haben sie die Champions League gewonnen. Das System ist sehr effektiv, es ist sehr schwer, dagegen zu spielen, denn mit dem richtigen Ansatz hat man 5 Spieler in der Abwehr und 5 im Angriff – wie Sie wollen und es umsetzen können. Aber es ist anspruchsvoll, nicht jeder hat dieses Schema sofort verinnerlicht. Wir hatten eine gewisse Holprigkeit in der Umsetzung, weil es schwierig ist, man muss viel laufen, man muss viel arbeiten. 

Wir erwischten gerade den Moment, als Kozhanov verletzt war und wir zweimal ohne ihn spielten. Er ist ein Schlüsselspieler in unserem System, also hat all das gegen uns gearbeitet. Aber mittlerweile hat die Mannschaft es verstanden, die Zahlen und Siege sprechen für sich, wir haben 9 Spiele gewonnen, es sind noch 2 Spiele, um den Rekord in der Druha Liha an Siegen in Folge zu brechen, außerdem haben wir die wenigsten Ballverluste in der Liga, wir sind auf dem zweiten Platz bezüglich der erzielten Tore. Wir hatten fast nicht trainiert, immer nur ausgeruht und dann gespielt, gespielt, gespielt. Einige Ideen, einige Aspekte, die im Trainingsprozess eingebaut werden mussten, die man zeigen und ausprobieren musste – das hatten wir nicht. Nachdem wir dann gegen Volyn aus dem Pokal geflogen waren, ging es im Wochentakt weiter, und wir hatten nach jedem Spiel etwas Zeit, uns diesen Aspekten in wöchentlichen Zyklen zu nähern, und wie Sie sehen, hat es funktioniert: ein, zwei, drei, vier Spiele, es lief wie geschmiert.

Das letzte Spiel mit Munkatsch war, wie ich erwartet hatte, schwierig. Wenn ein Team ständig verliert, wird es unsicher, es ist sehr schwer, aus dem Loch herauszukommen, es braucht ein paar Siege, bis das Team an sich selbst glaubt. Bei Siegen funktioniert es genauso, nur umgekehrt – wir waren nicht nur selbstbewusst geworden, sondern auch überheblich, und das arbeitete gegen uns. Schon vor dem Spiel, als wir einen Tag vorher im Hotel eincheckten, betonte ich: denkt daran, denn morgen könnte es Ärger geben, aber ich sehe was Ihr denkt – „Och, wir werden sie trotzdem schlagen, das sind junge Spieler, und wir haben bereits 8 Spiele gewonnen, die schlagen wir”. Und genauso lief es dann. Gott sei Dank hat das dann nicht zu viel Blut gekostet. Wir haben unsere drei Punkte geholt und ich denke, das wird der Mannschaft gut Auftrieb geben.

Welche Trainer in Ihrer Karriere haben Sie besonders beeinflusst? Und durch welche Aspekte seiner Arbeit?

Ich habe mit vielen guten Trainern zusammengearbeitet und von jedem etwas mitgenommen. Ich habe großen Respekt vor Borys Rassykhin, möge er in Frieden ruhen. Ishchenko gab mir viel, ein sehr guter Trainer, Kononov letztendlich ebenso, durch ihn kam etwas ungewöhnliches hinzu, er hatte andere Ansätze, andere Aspekte. Im Grunde ein bisschen von jedem. Aber glauben Sie mir, mit dem von früheren Trainern gelernten allein steigen Sie nicht auf – Sie müssen immer lernen, sich weiterentwickeln, denn der Fußball steht nicht still, er schreitet voran, und die Methoden im Trainingsprozess, die Taktik – alles ändert sich Jahr für Jahr. Wenn wir da sitzen und arbeiten wie in den 1990ern, als ich anfing, dann hätten wir heute nichts erreicht. Im Fußball gibt es eine Revolution, alles hat sich geändert. Deshalb lese ich viel, lerne, kommuniziere, wer hat wo etwas gesehen, wer hat wo gespielt. Ich liebe Guardiola sehr, wie er das Feld dominiert, wie er umbaut, wie flexibel er in der Taktik ist, er macht sich nicht zur Geisel irgendeiner Taktik. Er kam von Bayern zu Manchester City, er wollte einen bestimmten Fußball spielen, aber in England geht der nicht. Er fand die Kraft, den Fußball, den er liebt, umzubauen, zu etwas anderem zu machen. Er scheint ähnlich zu sein, ist aber völlig anders. Früher war das viel Ballkontrolle, in England kam sehr viel mehr vertikaler Fußball heraus. Diese ganzen Sachen schaue ich mir an an, lese, tausche mich mit anderen aus, gehe zu Seminaren.

Welcher ukrainische Torwart beeindruckt Sie am meisten?

Wenn für alle Zeit, dann ist Oleksandr Schovkovskyj definitiv die Nummer eins. In Lviv Bohdan Strontsytskyj.

Wie schätzen Sie die Perspektiven Ihres Sohnes Jurij ein?

Als Vater fällt es mir schwer, seine Perspektiven einzuschätzen, denn er ist mein Sohn, ich liebe ihn sehr und wünsche ihm eine große Zukunft im Leben. Ich bin sehr froh und Moros [Trainer bei Тschornomorets, A.d.R.] sehr dankbar dafür, dass er ihn nach Odessa mitgenommen hat, dass er in der höchsten Spielklasse spielt – mal spielt er, mal kommt er als Einwechselspieler, aber ich denke, er hat viel Spielzeit. In seinem Alter ist das sehr wichtig, Spielpraxis, ein sehr starker Schritt nach vorne, denn U19 mit Kindern zu und dann mit Erwachsenen zu spielen, ist ein sehr großer Schritt. Heute hat er ein ganzes Spiel gegen Shakhtar gespielt – es wird ihm wahrscheinlich so viel geben, wie eine ganze Saison mit der U19. Ich bin Dynamo Kyiv sehr dankbar, sehr dankbar Moros für die Möglichkeit, dass er in der UPL spielen kann.

Würden Sie ihn gern in Ihrer Mannschaft sehen?

Als Spieler dieses Niveaus hätte ich ihn gerne. Aber da er mein Sohn ist, weiß ich nicht, ob das gut wäre, da ich sehr emotional bin. Wenn mein Sohn im Team wäre, würden Zuschauer, Fans, Spieler sagen, ich hätte ihn eingesetzt, weil er mein Sohn sei. Er müsste also zweimal stärker sein als die Spieler, die ich habe, damit keiner etwas sagt. Aber da er ein junger Spieler ist, kann er das natürlich nicht sein. Stellen Sie sich vor, ich setze ihn ein, und er macht einen Fehler, dann wird wieder geredet – so sind Spieler und Fans. Es wäre sehr schwierig für ihn und mich. Daher ist das ambivalent. Ich hätte auf jeden Fall gerne einen Fußballer auf diesem Niveau. Als mein Sohn ist das eine andere Frage.

Wir alle hoffen natürlich, dass Karpaty bald in der Perscha Liha und dann auch wieder in der UPL spielen werden. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dann irgendwann auch wieder einige der bekannteren früheren Karpaty-Spieler im Karpaty-Trikot zu erleben, wie z.B. Lebedenko, Kravets oder sogar Shved?

Auf jeden Fall ist das etwas, was wir gerne hätten. Ich habe mit ihnen gearbeitet, sie kennen mich, ich kenne sie. Aber Sie verstehen, alle Spieler haben ihre Verträge. Wie soll das gehen? Natürlich möchten wir all die vielversprechenden Jungs, die bei Karpaty gespielt haben, die selbst aus Lviv stammen, zusammenbringen und so eine wahrhaft galizisch-karpatische Familie gründen. Aber es ist nicht immer so einfach. Dann sind da auch noch die Probleme mit der Akademie und der Schule, weil unsere Karpaty-Akademie, zu Rukh umgezogen ist. Viele vielversprechende Jungs sind dorthin gegangen, und heute ist es sehr schwierig, jungen Leute zu bekommen. Wir haben ein Sportinternat, aber nur eine Schule ist etwas wenig.

Photo: Privatbestand Andrij Tlumak

Im alten PFK Karpaty wurde viel mit den Fans gearbeitet – z.B. auf der Patreon Plattform, mit dem Chat auf der Internetseite. Das war bei vielen Fans populär. Bei uns im Westen ist ja Arbeit mit den Fans schon lange üblich, in der Ukraine noch nicht. Gibt es bei Ihnen im neuen Club Pläne für eine solche Strategie?

Ich muss sagen, dass das, was bei dem früheren FK Karpaty mit Patreon gemacht wurde, meiner Meinung nach nicht ehrlich und nicht richtig war. Die, die den Club entwickeln wollten, wenn sie das wirklich gewollt hätten, hätten sie das getan. Allerdings stellte sich heraus, wussten sie bereits sechs Monate vorher, dass es den Club dann nicht mehr geben würde und stattdessen einen anderen, aber sammelten trotzdem Geld von Fans. Das war meiner Meinung nach falsch. Den Club auf Kosten der Fans zu entwickeln, ist natürlich in Ordnung, aber man muss einen klaren Plan für diese Entwicklung vorgeben, so wie wir das heute tun. Wir bauen ein Vereinszentrum. Wir haben Vereinbarungen mit verschiedenen Schulen unterzeichnet, Fußballinternate, die Kinder- und Jugendsportschule Nr 4 „Karpaty“ wurde heute umbenannt. Wir arbeiten an noch einem Projekt einer Schule, die wir übernehmen wollen, wo wir junge Talente anwerben, entwickeln und voranbringen werden.

Sagen wir so: wir erklären, dass wir die Druha Liha gewinnen und in die Perscha Liha aufsteigen wollen, die Perscha Liha gewinnen, in die höchste Spielklasse kommen. Und wir reden nicht nur darüber, wir machen klare Schritte, haben die Spieler dafür – da ist wohl glaubwürdig, dass die Mannschaft in die Perscha Liha will, und nicht wie letztes Jahr mit einer Mannschaft aus Kindern den letzten Platz belegen, aber zu sagen, man wolle in die Perscha Liha. Das ist natürlich absurd und unrealistisch. Man muss etwas schaffen, das die Förderung über Patreon verdient. Und wenn man das tut, dann ist das auch in Ordnung. 

Wenn Sie mit den Fans reden, dann sehen Sie, dass sie uns unterstützen. Sie haben uns aus eigenem Antrieb die Nutzungsrechte für das Vereinswappen gegeben. Wir haben also das volle Vertrauen der Fans, von unserer Seite ein riesiges Dankeschön an sie, für das Wappen und für die Unterstützung – sie fahren zu unseren Spielen in die Städte und sogar auf die Dörfer, um uns zu unterstützen. Es ist sehr, sehr schön für die Spieler, und natürlich auch mich selbst, wenn sie am Ende des Spiels „Andrijko Tlumak“ skandieren.

Aber zurück zum Kontakt mit den Fans. Auf welche Art will der Verein die Fans mit einbeziehen und Kontakt zu ihnen halten?

Wie ich schon einige Male gesagt habe, bin ich bereit, einmal im Monat offizielle Treffen mit den Fans abzuhalten, vielleicht auch auf Video, wo Fans Fragen an Trainer und Spieler stellen und direkt eine Antwort bekommen können. Denn es gibt viele falsche Kommentatoren, über die nichts bekannt ist und die alles mögliche schreiben und kritisieren. Ich verstehe das nicht. Kritik muss konstruktiv sein und kann dann beantwortet werden. Aber wenn alles in Ordnung ist und es eigentlich keinen Anlass zur Kritik gibt, wird immer noch kritisiert – aber nicht unterschrieben. Da ist z.B. Sintschenko, der überall schon alles mögliche gewonnen hat, aber immer noch kritisiert wird. Wofür soll man ihn jetzt kritisieren? Ich verstehe das nicht. Er ist nicht in Skandale oder Intrigen verwickelt. Ein Mensch spielt immer irgendwo mal schwächer, dann wieder stärker, aber das ist unser Landsmann, wir sollten glücklich sein, wenn es ihm gut geht. Aber es gibt Menschen, die sich stattdessen sofort aufregen, wenn bei ihm mal was nicht stimmt, und so etwas ist nicht richtig.

Dank des Internets können unsere Fans, die nicht persönlich zu einem Treffen kommen können, teilnehmen und Fragen stellen. Erinnern Sie sich daran, wie während der Quarantäne in englischen Stadien Fans auf der Anzeigetafel gezeigt wurden? Wir können auch Videotelefonate machen, damit die Leute fragen können, wenn sie etwas beunruhigt. Fußball kann nicht immer gut oder immer schlecht sein, er verändert sich ständig. Es gibt Menschen, die ihre persönlichen Probleme haben, in der Familie oder woanders – und deswegen einfach mal schlecht spielen. Sie als Fans haben das Recht, ihm eine Frage zu stellen herauszufinden, woran es liegt, warum es so gekommen ist.

Wo wir gerade bei Fans waren, wir warten ja alle auf den neuen Fanshop. Es ist ja schon versprochen worden, dass daran gearbeitet wird. Wird es dann bald auch eigene Designs – z.B. für Trikots, Jacken, Taschen etc. – geben?

Ich weiß, dass wir an einem Online-Shop arbeiten. Wir haben eine erfahrene Verkäuferin, die auch schon beim alten FK Karpaty gearbeitet hat. Aber wir brauchen noch etwas Zeit, um alles aufzubauen. Wir sind gerade noch im ersten Jahr unserer Arbeit,  hatten nur die minimal notwendige Anzahl von Trikots für die Spieler bestellt, weil wir nicht wussten, wie es laufen würde. Jetzt sehen wir, dass es Interesse gibt, sogar Aufregung, die Leute fragen. Ab Sommer der nächsten Saison wird es eine Auswahl verschiedener Trikots geben. Wir sind im Kontakt mit unserem spanischen Partner [Joma, A.d.R.], es kann gut sein, dass es ein Trikot mit einem Design speziell für uns geben wird.

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