Oleg Dulub war in der zweiten Hälfte der Saison 2016/2017 Trainer der Grünweißen. In einem Interview erzählt er auch ein wenig von seiner Zeit in Lviv, als er trotz vieler Hindernisse das Wunder Klassenerhalt schaffte.

Dulub hatte Ende 2016 nach verschiedenen Stationen als Co-Trainer knapp eineinhalb Jahre als Cheftrainer bei Krumkachi in seinem heimischen Belorus hinter sich, als er zu Karpaty stieß, die damals auf dem vorletzten Tabellenplatz standen. Damit nicht genug, in der Winterpause verließen auch noch mit Gustavo Blanco Leschuk, Volodymyr Kostevych und Vasyl Kravets der Topscorer und der gesamte linke Flügel den Club.
Dulub musste also improvisieren, und er hatte sicher auch das Glück des Tüchtigen, als sich herausstellte, dass Oleksandr Hladkyi, der zur Rückrunde von Dynamo geliehen werden konnte, großartige Form zeigte und mit vier Treffern für seinen Club der beste Stürmer der Rückrunde wurde. Am Ende schafften die Grünweißen mit einem komfortablen Abstand den Klassenerhalt, und nicht wenige hofften auf eine Fortsetzung der Tätigkeit Dulubs, zu der es aber nicht kam, da im Sommer 2017 in Lviv mit Trainer Sergio Navarro (mit dem wir ebenfalls kürzlich ein Interview publizierten) die „Los Karpatos“ Ära begann.
Folgen Sie dem ukrainischen Fußball, allgemein und speziell den Mannschaften, mit denen Sie gearbeitet haben?
Ja, aufmerksam. Besonders nach meiner Zeit in ukrainischen Clubs. Ich hätte nicht gedacht, dass es mich so faszinieren würde, das hat mich regelrecht gepackt.
Ich habe meine Hand am Puls von allem, was im ukrainischen Fußball passiert, auch Spielen ukrainischer Mannschaften im Europapokal und besonders das ukrainische Derby zwischen Dynamo und Shakhtar. Natürlich beobachte ich Karpaty und habe sogar mehrere Spiele von Chornomorets Odessa in der Perscha Liha [ukrainische zweite Liga] gesehen.
Tut es Dir nicht im Herzen weh, wenn Du siehst, was für schwere Zeiten Chornomorets und Karpaty gerade durchmachen?
Das tut natürlich weh. Ich hoffe, dass diese Mannschaften nicht verschwinden, denn sie haben große Geschichte, Tradition und repräsentieren große Fußballstädte. Beide Teams haben einen Platz in meinem Herzen gewonnen. Deshalb mache ich mir Sorgen um beide Vereine. Deshalb versuche ich, nicht den Kontakt mit Karpaty und Chornomorets abbrechen zu lassen, rufe an, kommuniziere.
Wie schwierig war es, in Odessa und Lviv zu arbeiten, für ihre Fußballclubs, wie auch für ihre Regionen, von großer Bedeutung sind?
Das ist mir nicht schwergefallen, ich hatte Spaß dabei. Vielleicht war es noch am Anfang schwierig, als ich die ukrainischen Meisterschaften von innen kennenlernte. Ich war ein Neuling im ukrainischen Fußball, das alles musste also neben der Arbeit erledigt werden.
Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an die Fans beider Vereine, sie gaben mir immer Kraft.
Nach der Karpaty-Niederlage im letzten Spiel der ersten Runde ging ich ohne Lust durch die Stadt. Obwohl sich das Spiel verbessert hatte, hatte es doch nur wenige Punkte gegeben. Fans sahen mich auf der Straße und drückten ihre Unterstützung aus. Solche Dinge sind inspirierend. Dasselbe geschah in Odessa, die Menschen in der Stadt erkannten, unterstützten mich und wünschten uns Erfolg. Meine Assistenten und ich haben verstanden, dass wir mit seriösen Teams zusammenarbeiten, hinter denen große Städte standen.
Wie beurteilen Sie das Niveau der heutigen ukrainischen Meisterschaft?
Man spricht ja normalerweise über die ukrainsiche Meisterschaft vor 7 – 10 Jahren, als das Niveau und die Entwicklung des Fußballs wirklich hoch waren. Die Wirtschaft des Landes machte es möglich, viel Geld für Fußball auszugeben. Aber auch jetzt ist das Niveau gut.
Nach dem, was ich 2016-2017 in der Ukraine gesehen habe, ist das UPL-Niveau recht anständig geblieben. Die ukrainischen Spieler zeichnen sich seit jeher durch Einsatz in jedem Spiel und gute körperliche Verfassung aus. Da muss man gar nicht viele Beispiele nennen. Ich habe die Spiele der ukrainischen Perscha Liha gesehen. Der Abstand zwischen dem 1. und 7. Platz beträgt nur 3-4 Punkte. Das Niveau dieser Teams liegt kaum unter dem in der UPL.
Wenn Sie die Meisterschaft der Ukraine und Belarus vergleichen, wo sind die Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten?
Die ukrainische Meisterschaft ist stärker, schneller, es gibt bessere Legionäre. Shakhtars Ausländer kann man nicht vergleichen mit denen, die in Belarus spielen. Ebenso ist bei Dynamo Kyiv die Qualität der ausländischen Spieler recht hoch.
Das Potenzial der Länder ist unterschiedlich. Die Ukraine hat viermal so viele Einwohner wie Belarus. Der ukrainische Fußball hatte immer eine gute Basis, gespeist durch Spieler aus den unteren Ligen. Dynamo Kyiv hatte mit jungen ukrainsichen Spielern das Gesicht des Fußballs der gesamten Sowjetunion bestimmt.
Der Unterschied ist auch, dass in der Ukraine Fußball in Privatbesitz ist. Clubbesitzer selbst investieren in ihre Teams, interessieren sich für deren Entwicklung. In Belarus ist Fußball eher staatlich. Daher sind die Modelle völlig unterschiedlich. Ukrainische Vereine sind mir da näher: wenn es einen Eigentümer gibt, der für das Ergebnis verantwortlich ist, ist es einfacher zu arbeiten.
Ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung des Fußballs in der Ukraine ist die Europermeisterschaft 2012. Es wurden Arenen gebaut, die der Entwicklung des Fußballs in der Ukraine Impulse gaben. In Belarus gab es kein Turnier auf diesem Niveau.
Ihre Trainerlizenz haben Sie in der Schweiz erhalten. Inwieweit erweitert die Erfahrung mit der Fußballwissenschaft im Ausland Ihre Sicht auf den Fußball?
Es hilft sehr bei der Arbeit und schafft Zugang zu neuem Wissen. Die neuesten westlichen Innovationen in der Fußballtheorie übertreffen die des postsowjetischen Raums deutlich. Im Westen ist Sport bereits zu einem Geschäft geworden, was den Impuls zur Entwicklung der Sporttheorie einschließlich der des Fußballs gegeben hat.
Ich unterrichte derzeit über Coaching-Kategorien. Im Januar traf Vladimir Planotonov ein, einer der wichtigsten Theoretiker des Sports im postsowjetischen Raum. Er sagte, dass alle Sporttheorien in der UdSSR zu 50 Prozent veraltet und zu 25 Prozent bereits falsch seien. Um vorwärts zu kommen, müssen Sie moderne Erfahrungen einbringen, die bereits Erfolg gebracht hat. Fußball steht nicht still, er bewegt sich vorwärts.
Alle neuen Methoden müssen an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst werden, so dass sie einfacher in die Praxis umgesetzt werden können. Praktische Erfahrung und moderne (englischsprachige) Literatur überzeugt mich davon.
Welche Auswirkung auf den Fußball hatte Valerij Lobanovskyj?
Als ich auf Valerij Lobanovskyjs methodische Entwicklungen stieß, war ich einfach erstaunt, wie weit sie ihrer Zeit voraus waren. Sogar jetzt noch basiert der Trainingsprozess auf seinen Methoden. Seine Spielmodelle wurden an die Möglichkeiten des modernen Fußballs angepasst, sind dabei aber noch weit davon entfernt, vollständig umgesetzt zu werden.
Sie haben bei Karpaty und Chornomorets das damals in Europa populäre System mit drei Innenverteidigern verwendet. Wie bewusst war die Wahl, das Spiel auf diese Art aufzubauen, und wie effektiv ist diese Taktik im Fußball?
Ich habe dieses Schema zum ersten Mal fast zufällig eingesetzt. Karpaty mussten gegen Shakhtar spielen, und unser Innenverteidiger Andriy Nesterov musste wegen einer Sperre pausieren, so dass mit Ivan Lobaj nur noch ein Verteidiger übrig war.
Das Spiel der Pitmen gegen BATE in der Champions League analysierend (die ukrainische Mannschaft hat den Vertreter von Belarus mit insgesamt 12: 0 geschlagen) kam ich zu dem Schluss, dass das Spiel mit 4 Verteidigern gegen Shakhtar nicht sehr effektiv ist, wenn die eigenen Spieler nicht die gleiche Klasse haben. Dabei entstand die Idee, die Mitte des Feldes quantitativ zu sättigen. Es ergab dann 3 Innenverteidiger [Kravets, Lobaj, Subejko] und je einen Spieler zur Unterstützung [Kostevych, Miroshnichenko] auf den beiden Flanken.
Wir hatten zwei Wochen Zeit, das aufzubauen, weil wir eine Länderspielpause hatten. Das Freundschaftsspiel gegen Wisla [Krakau] gewannen wir mit 4: 0 und verstanden die Effektivität dieser Konstruktion. Sie lag dem Team. Die Spieler verstanden das System schnell, wir verloren zwar gegen Shakhtar 1: 2, zeigten aber ein gutes Spiel.
Im Wintertrainingslager spielten wir wieder das System mit 4 Verteidigern, aber im Frühjahr kehrte ich doch zu diesem Schema zurück, weil wir ein positives Ergebnis benötigten.
In Odessa erkannte ich durch das Potenzial des Teams, dass dieses Schema da auch notwendig war. Ich hatte 3 Innenverteidiger. Dieses Schema minimierte die Schwächen des Spiels, insbesondere in der Verteidigung. Die Neuzugänge trafen zerstreut ein, daher war es notwendig, ihre taktischen Schwächen auszugleichen.
Als ich anfing, mich mit den Feinheiten zu befassen, wurde mir klar, dass dies eines der Systeme ist, mit denen Sie dank 3 Innenverteidigern und zwei unterstützenden Mittelfeldspielern die Mitte des Feldes abdecken können, man bekam 5 Spieler im Zentrum.
Sie haben Mykola Matviyenko faktisch in den Erwachsenenfußball in der UPL gebracht. Wie kam es zu der Möglichkeit, diesen Spieler für Karpaty zu gewinnen?
Das war ein absoluter Zufall. Wir brauchten einen linken Verteidiger, nachdem Volodymyr Kostevych und Vasyl Kravets das Team verlassen hatten. Wir suchten über die gesamte Dauer des [Winter-] Trainingslagers. Zwei Tage vor Schluss boten uns Agenten eine Möglichkeit mit Mykola Matviyenko an. Er war damals Innenverteidiger in Shakhtars Jugendmannschaft. Ich fragte, ob er ein schneller Spieler sei? Ja, war die Antwort, Linksfuß, jung, und weiter würden wir ihn unterrichten. Und so kam er zu Karpaty.
Sein erstes Spiel in Odessa gegen Chornomorets war ziemlich schwach. Er war erst ein oder zwei Tage vorher eingetroffen und überhaupt noch nicht eingespielt.
Das nächste Spiel war für ihn bereits top, wo er gegen Oleksandriya bereits seine erste Torvorlage brachte. Clubpräsident Dyminsky sagte sofort, dass er den Spieler nach der Leihe fest übernehmen wolle.
Haben Sie erwartet, dass Andriy Shevchenko ihn so bald in die Nationalmannschaft der Ukraine berufen würde?
Ich fand Andriy Shevchenkos Reaktion gut. Nach 3-4 Spielen bei Karpaty wandte er sich Matviyenko zu. Ich freute mich für den Spieler, aber ich hoffte, dass er nicht im Kader stünde, weil wir ein wichtiges Spiel gegen Olimpik hatten. Als bekannt wurde, dass er mit nach Kroatien führe, war ich überzeugt, dass er bestenfalls 10-15 Minuten spielen würde. Aber er kam heraus und wurde der beste Spieler auf dem Platz.
Wir haben dieses Spiel gegen Kroatien als Team gesehen. Ich fand es gut, dass er absolut ruhig spielte, sogar irgendwo kühn angesichts des Niveaus des Gegners. In Folge ging seine Karriere bergauf, und das ist sein persönlicher Verdienst.
Bei Shakhtar spielte Matvienko als rechter, linker und linker Innenverteidiger. Welche Position liegt ihm am meisten?
Außenverteidiger. Matvienko ist schnell, stark in Pässen und Flanken, liest das Spiel und kann aus der Distanz schießen. Als Innenverteidiger bekommt er den Ball und spielt sofort ab. Außerdem hat er Probleme mit dem Positionsspiel. Er braucht die Hilfe eines erfahrenen Verteidigers, der hinter ihm spielt und absichert.
Ich erinnere mich immer an das Spiel gegen Zirka, als Matvienko das entscheidende Tor erzielte. Dieser Ball war 100% sein Verdienst. Er nahm den Ball, ging 40 Meter, spielte auf Hladky im Strafraum, bekam den Ball zurück und traf. Das war Top-Treffer, besonders für einen Innenverteidiger.
Matvienko ist jetzt ein Leistungsträger in der ukrainischen Nationalmannschaft und bei Shakhtar. Hat er das Potenzial, sich in seinem Spiel und Karriere noch weiterzuentwickeln?
Ja. Mykola lernt sehr schnell. Sein Potenzial ist bei weitem nicht ausgeschöpft, und er kann noch mehr erreichen.
Im Winter wurde das Interesse von Arsenal Londen an Matviyenko bekannt. Wie gut wäre eine solche Variante für den Spieler?
Es wäre eine gute Herausforderung für ihn. Seit der Arbeit von Arsene Wenger wissen die „Kanoniere“, wie man junge Spieler entdeckt und mit ihnen arbeitet.
Das Interview führte Serhij Tyshchenko für Gazeta.ua, gekürzte Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.