Tim Hall im Interview

Der luxemburgische Innenverteidiger Tim Hall kam spät im Sommer 2019 nach Lviv und avancierte dort schnell zum Stammspieler, bevor er im Mai 2020 seinen Abschied ankündigte. Im Interview erzählt uns Tim von seinen Eindrücken in Lviv, der Arbeit in der Mannschaft und seine Zukunftspläne.

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Tim Hall, Photo: © Er selber.

So wie ich gelesen habe, war Karpaty Dein zweiter Club im Ausland. Was waren die wichtigsten Gründe für Dich, ausgerechnet in die Ukraine zu gehen?

Tatsächlich war das sogar mein vierter. Es fing an in Saarbrücken, da war ich zum ersten Mal bei den Profis. Danach wechselte ich nach Elversberg, zunächst zur zweiten Mannschaft war, wurde dann aber von Michael Wiesinger, dem damaligen Trainer dort, in die erste Mannschaft genommen. Von da bin ich dann nach Belgien in die zweite Liga nach Lierse gewechselt. Danach war ich für ein Jahr in Luxemburg und dann bei Karpaty.

Die Entscheidung, nach Lviv zu gehen, war eigentlich ganz einfach. Von da hatte ich damals das einzige konkrete Angebot, und ich wollte möglichst kurz nur in Luxemburg bleiben, um schnell wieder ins Profigeschäft zu kommen. Ich sah das als eine gute Gelegenheit – die Liga ist interessant, und es gibt viele Scouts, die Dich da beobachten könnten, so dass Du von da dann den Sprung eine Stufe höher schaffen kannst.

Die Ukraine war ja nun für Dich ein völlig fremdes Land. Wie bist Du dort zurechtgekommen? Hat Dir der Verein geholfen, um Dir das Einleben dort zu erleichtern?

Der Verein hat da nicht viel gemacht. Aber ich hatte meinen Übersetzer, der für den Club arbeitete, der war richtig nett und hat mir sehr geholfen. Hinzu kam, dass Marvin [Martins] schon vor Ort war, der schon alles mögliche dort kannte. Wir haben auch viel mit den Ausländern aus der Mannschaft gemacht. Es war im Grunde ein großartiges Erlebnis.

Wie war dann Dein Einstieg in Mannschaft und Liga?

Der Verein hatte natürlich viele Probleme und auch schon vor der Saison viel auf junge Spieler gesetzt. Das klappte dann leider nicht wie vorgestellt. Hinzu kam, dass einige der ausländischen Spieler nicht mehr die Leistungen brachten, die sie noch in den Spielzeiten davor gezeigt hatten.

So lief das die ganze Saison. Wir schafften es vorn immer wieder nicht, einfach mal das nötige Tor zu erzielen und den Sack zu zu machen, und dann kamen irgendwann die unnötigen Gegentore. Es war da auch einfach sehr viel Pech dabei, z.B. Schiedsrichterentscheidungen, die auch nicht immer gerade klar waren. Aber gut, daran gewöhnt man sich dann mit der Zeit – man muss, denn sonst kommt man gar nicht mehr mit einem klaren Kopf auf den Platz.

Wie warst Du in Lviv untergebracht? Mit Familie bzw. Freundin? Um Dich herum Mannschaftskameraden?

Ich wohnte ganz allein in einer Wohnung in der Stadt. Zufällig war Cristian Ponde mein Nachbar. Als der dann ausgezogen war, wurde kurz später auch die Wohnung vom João Diogo Jennings frei, der wiederum der Nachbar von Marvin Martins war. Es gab da auch ein wenig Irritation mit der Vermieterin, weswegen ich bin dann nach der Winterpause umzog. So bin ich dann am Ende Marvins Nachbar geworden. In dem Gebäude waren dann auch Oleksij Kovtun und Oleksij Khakhlyov. Das Gebäude, wo ich zuerst gewohnt hatte, war relativ alt, aber gut renoviert. Nach dem Umzug war ich dann in einem ganz neuen Haus.

Wie lief es mit der Verständigung?

Das war eigentlich das größte Problem, da die Leute oft weder deutsch noch englisch verstehen, eben praktisch nur ukrainisch. Am Anfang war das schon sehr schwer. Ehrlich gesagt habe ich sehr viel mit google translate gearbeitet. Das war dann oft die einzige Lösung, wenn ich im Restaurant war und wir uns kaum verständigen konnten. Die Karte war dann oft auch nur in ukrainischer Sprache. Mit google translate ging das dann aber.

Mit der Zeit habe ich dann ein paar Wörter und Phrasen gelernt, z.B. um Wasser zu bestellen. Das ging dann besser. Die Leute freuen sich auch richtig, wenn man ein paar Wörter in ihrer Sprache kann.

Welchen Eindruck hast Du von Lviv und dem Leben in der Ukraine gewonnen?

Ich muss sagen, die Stadt Lviv gefiel mir gut, da war immer eine Menge los. Über die Stadt kann ich nichts schlechtes sagen. Ich war dann natürlich auch in mehreren Städten, in Kyiv bin ich dann mehrmals auch etwas geblieben, das gefiel mir auch gut. Wir waren auch für Spiele in anderen Städten, wo einfach gar nichts war. Es gab also schon ein paar Plätze, wo Du eher nicht leben möchtest.

Ich war froh, gerade in Lviv gelandet zu sein – eine coole Stadt, wo ich viele interessante Leute kennengelernt habe. Da habe ich mich nicht alleine gefühlt.

Wie gefällt Dir die ukrainische Küche? Was ist Dein Lieblingsgericht?

Ich habe tatsächlich oft Sushi gegessen! Ich war überrascht, die machen dort richtig gute Sushis, die habe ich dann oft gegessen. Von den ukrainischen Sachen mag ich Borschtsch richtig gern. Aber auch ganz allgemein war das Essen in Lviv und überhaupt in der Ukraine gut.

Es gibt in Lviv tolle Restaurants, aber Sushi und Borschtsch mochte ich am liebsten.

Bereust Du es rückblickend, nach Lviv gegangen zu sein?

Nein, absolut nicht. Für mich haben sich durch diesen Schritt sehr viele Türen geöffnet, und das war auch meine Ziel gewesen. Ich hatte, bevor ich nach Lviv ging, schon ein paar Sachen gewusst, etwa, dass der Club Probleme hatte, aber auch sehr viele Fans, ein Traditionsverein, der vor ein paar Jahren auch in der Europa League gespielt hat.

Mein Ziel war ganz klar, ein Jahr in Lviv zu spielen, dort gute Leistungen zu bringen und mich für für den nächsten Schritt zu empfehlen. Das hätte eigentlich sogar schon im Januar soweit sein können. Slask Wroclaw hatte sich für mich interessiert und auch ein Angebot abgegeben. Der Deal war eigentlich schon in trockenen Tüchern gewesen, alles unterschrieben. Es gab dann aber ein Problem mit dieser FIFA-Regelung, dass ich als Spieler nicht in der selben Saison drei oder mehr Vereine haben darf. Und ich hatte ja noch im Sommer für Niederkorn die EL-Qualifikation gespielt, war dann zu Karpaty gekommen, und dann wäre Slask mein dritter Verein gewesen.

Hast Du noch Kontakt nach Lviv?

Ich habe noch Kontakt zu den Mannschaftskollegen. Wir sind da richtig gut klargekommen, ich habe da tolle Leute kennengelernt. Die waren auch sehr enttäuscht, dass ich nicht mehr zurückkehre, aber die verstehen das natürlich auch. Außerdem habe ich auch immer noch sehr viel Kontakt zu meinem Übersetzer – ein wirklich cooler Typ, der mir sehr geholfen hat, und ich hoffe, dass wir auch über die nächsten Jahre noch in Kontakt bleiben werden.

Du hast bei Karpaty mit  zwei Trainern zusammengearbeitet, erst Oleksandr Chyzhevskyj, dann mit Roman Sanzhar. Welche Unterschiede sind Dir besonders aufgefallen? Was sind Dinge, die Du bei den beiden jeweils besonders geschätzt hast?

Die Frage ist für mich sehr schwer zu beantworten, da ich ja mit Chyzhevskyj nur sehr kurz gearbeitet habe. Ich hatte ja gerade noch die EL-Qualifikation mit Niederkorn gegen Glasgow Rangers gespielt, und die Woche darauf ging es dann nach Lviv, aber dort war das schon der dritte oder vierte Spieltag, wo Karpaty zu hause gegen Mariupol spielten. Danach hatte ich nur noch zwei oder drei Spiele mit dem alten Trainer – der Auswärtssieg bei Olimpik, dann die Heimniederlage gegen Zoriya und das Unentschieden auswärts bei Desna. Ich kann sagen, dass Chyzhevskyj ein sehr konzentrierter Typ, aber auch ein lustiger Mensch war. Die Trainingseinheiten wirkten auf mich gut, aber er arbeitet schon ganz anders als Roman Sanzhar.

Sanzhar arbeitet sehr viel am Ball, legt sehr viel Wert auf Taktik. Seine Ideen sind sehr gut, wie er das Spiel haben will. Er tut mir da auch ein bisschen leid. Als er kam, so hatte ich gehört, wollte er einige bestimmte Spieler verpflichten, die er aber nicht bekam. Wir hatten dann einen Kader, der sehr jung war, den aber auch sehr viele verlassen hatten, während der Saison waren dann auch noch Hutsulyak, Ponde und Di Franco weg. So wurde es immer schwieriger.

Ich denke, egal welchen Trainer Du jetzt eingestellt hättest, der hätte es auch nicht besser gemacht. Er steht ja auch sonst etwas unter Beschuss, und das finde ich unnötig, und das hat er nicht verdient. Er ist ein korrekter Mensch und guter Trainer. Das gilt auch für das ganze Team – alles sehr gute und nette Menschen, die genau wissen, was sie mit uns machen und warum. Alle die Leute haben von Anfang an bis heute 100% gegeben und alles versucht, mehr aus uns herauszuholen. Am Ende fehlt da wohl einfach auch ein wenig Qualität im Kader – und natürlich vor allem Erfahrung.

Im Vergleich zur Vorsaison, wo unter Fabri González die Mannschaft zum Teil völlig chaotisch gespielt hatte, wurde unter Chyzhevskyj diszipliniert in der taktischen Aufstellung gespielt und nicht irgendwelche Räume offen gelassen. Deshalb waren viele in Lviv auch enttäuscht über seine Entlassung. 

Chyzhevskyj war wirklich ein Trainer, der sehr viel an der Defensive arbeitete. Sanzhar ist ein Typ, der einfach Fußball spielen möchte. Und wenn Du Dir einige unserer Spiele ansiehst, waren da zum Teil richtig gute Leistungen dabei – da lief der Ball, wir dominierten unsere Gegner, aber immer nur bis auf die letzten 20-30 Meter, danach fehlte dann etwas.

Sanzhar ist mehr der Fußballertyp, offensiver, bei Chyzhevskyj war es erst einmal Sicherheit, und dann schauen wir. Für diese Mannschaft wäre aus heutiger Sicht genau das vielleicht das beste gewesen. Aber das kann man vorher natürlich nicht wissen. Die fußballerische Qualität ist bei der Mannschaft auf jeden Fall da, das haben wir auch in einigen Spielen bewiesen.

Und in solchen Spielen kamen dann noch so dubiose Schiedsrichterentscheidungen wie der Elfmeter im Spiel gegen Oleksandriya. 

Das schlimme an der Sache ist, dass das niemals ein Elfmeter war. Und das zog sich ein bisschen auch durch das ganze Jahr, immer wieder Entscheidungen gegen uns.

Gegen wen hast Du in der Ukraine besonders ungern gespielt?

Einen bestimmten Spieler gibt es da eigentlich nicht, eher eine Mannschaft – Oleksandriya. Die waren unheimlich bissig und laufstark, sehr unangenehm zu spielen.

Bei Karpaty hast Du ja sowohl in einer Dreier- als auch Viererkette gespielt. In welcher Formation fühlst Du Dich wohler?

Definitiv besser in der Viererkette. Unter Chyzhevskyj haben wir einige Male mit der Dreierkette gespielt. Ich mag das nicht so, weil Du da hinten sehr oft 1:1 mit dem Gegner stehst. Ich war ja links in der Dreierkette und musste dann oft sehr weit außen stehen. Das Spiel mit der Dreierkette kostet sehr viel Kraft und Laufarbeit, und vom ersten bis zum letzten Spieler muss alles passen – das Timing beim Pressing, da muss sehr viel stimmen. Wenn das gut geht, ist es OK. Aber ich kann mich erinnern, wie nach den ersten Spielen wirklich jeder aus der Mannschaft einfach komplett kaputt war.

Es ist aber nicht wegen der Laufarbeit, dass ich lieber in der Viererkette spiele. Ich mag es, den Ball zu haben und das Spiel zu machen. Das ist meine Stärke, und das kann ich mehr aus der zentralen Position, als wenn ich so weit links außen stehe.

Ich habe damals beobachtet, dass bei dem Spielsystem die Außenspieler eigentlich die ganze Zeit die Linie rauf und runter rennen mussten, und wenn sie es irgendwann mal nicht mehr gepackt hatten, es hinten einfach offen war. 

Das ist es. Ich habe ja immer hinten neben Duba [Dubinchak] gespielt. Duba ist ein sehr offensiver Spielertyp, der es gern mag, mit nach vorn zu gehen – ein bulliger Typ, der rennt, beißt und kämpft. Er hatte sehr viel Vertrauen in mich ließ mich dann in vielen Situationen da hinten ganz allein. Er sagte dann immer zu mir “ich weiß, Du packst das allein!”, aber manchmal, gewinnst Du zwar alle Duelle bis auf das eine, und dann verlierst Du das Spiel. Das war dann ja auch nicht seine Schuld, er wurde vorn gebraucht, aber das ist dann eben auch das Risiko.

In welcher Sprache habt Ihr auf dem Platz kommuniziert?

Natürlich viel auf Englisch. Aber ich habe dann mit der Zeit die wichtigsten Kommandos, die man von hinten geben muss, auch in Ukrainisch gelernt, kleine Sätze eben.

Wie war Dein Gefühl angesichts dessen, was im Verein passiert ist, warst Du schockiert?

Ich war vor meinem Wechsel schon über einiges informiert gewesen, etwa dass in der Liga mitunter manches nicht ganz korrekt läuft. Ich dachte mir dann: ich schaue es mir einfach mal an. Aber über einige Sachen war ich natürlich schon ziemlich überrascht.

Eine Sache war zum Beispiel der Trainerwechsel. Als ich kurz nach meiner Ankunft in Lviv zur Länderspielpause reiste, standen wir eigentlich ziemlich ziemlich gut, hatten fünf Punkte aus vier Spielen geholt, waren im Mittelfeld der Tabelle. Und dann plötzlich ohne Vorwarnung sah ich auf der Instagramseite des Vereins, dass wir einen neuen Trainer hatten. Ich rief erst einmal meinen Übersetzer an und fragte ihn, was denn jetzt los sei und warum wir als Spieler nicht informiert worden waren. Aus Deutschland war ich das ganz anders gewöhnt, alles sehr korrekt, und wo ich nun war, merkte ich, laufen manche Dinge eben ganz anders.

Es war ja offenbar so, dass die Vereinsführung gern offensiveren Fußball sehen wollte.

Das war auch das einzige, was wir gesagt bekommen hatten. Aber dennoch: wir hatten gerade das Auswärtsspiel bei Desna 1:1 gespielt, womit keiner gerechnet hätte und was für unsere Mannschaft eigentlich ein richtiger Erfolg war.

Könntest Du Dir vorstellen, in der Ukraine für einen anderen Verein zu spielen?

Schwer zu sagen. Es hängt davon ab. Ein Problem ist natürlich die Entfernung – die Familie kann nicht so mal eben schnell vorbei kommen, das ist alles etwas schwieriger. Aber wer weiß, ich sage nie “nie”.

Hast Du schon eine Ahnung, wo Du nächste Saison spielen wirst?

Nein, ganz ehrlich, ich weiß es wirklich noch nicht. Es gibt einige interessierte Vereine. Aber da kann man noch gar nichts sagen, weil im Moment alle wegen der Situation am Abwarten sind. Sie warten alle bis zu Ende, weil sie noch nicht wissen, wie sie am Ende finanziell dastehen. Da spielt dann natürlich eine Rolle, wie die noch laufende Saison abgeschlossen wird: spielst Du in der Europa League oder nicht? Steigst Du auf oder ab? Davon hängen natürlich am Ende auch die möglichen Gehälter ab. Wenn sie jetzt mit Dir einen Vertrag machen und am Ende merken, dass sie das gar nicht finanzieren können, ist das natürlich für alle blöd. Deswegen warten alle erst einmal ab, wie es weitergeht. Nach der Saison wird dann mehr Bewegung in die Transferaktivitäten kommen, dann werden wir auch mehr wissen.

Update: einige Tage später antwortete Tim noch auf die Frage, warum er Karpaty vorzeitig verließ.

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