Die letzten zwei Tage brachten eine neue Gefahr für Karpaty Lviv ans Licht: für die Schulden des alten, untergegangenen PFK Karpaty in Regress genommen zu werden – obwohl das genau das wäre, was bei der Schaffung des neuen Clubs hatte verhindert werden sollen. Was sagt das Fußball-Recht? Welche ähnlichen Fälle könnten herangezogen werden?

Nachem Direktor Stepan Yurtschyschyn erklärt hatte, ihm sei von derartigem nichts bekannt und wenig später Trainer Andrij Tlumak von einem eingegangenen Schreiben zur Klärung gesprochen, veröffentlichte das Portal Meta Ratings heute den Kommentar des Sportanwalts Ilya Skoropaschkin zu der Frage, um welchen Aspekt der internationalen Sportgerichtsbarkeit es hier geht:
Höchstwahrscheinlich ist hier die Rede von einer Sportlichen Nachfolge. Dieser Mechanismus wurde geschaffen, um sich vor so einem negativen Phänomen wie dem fiktiven Bankrott zu schützen. Jeder kennt Beispiele, in denen ein Fußballverein, der hohe Schulden angehäuft hat, aufhört zu existieren und an seiner Stelle ein neuer, schuldenbefreiter Verein erscheint. Gleichzeitig identifiziert die gängige Rechtsprechung des Sportschiedsgerichts und der FIFA einen Fußballverein nicht nur als konkrete juristische Person mit ihren Bestandteilen, sondern als eine Marke bestehend aus Elementen wie Name, Farben, Fans, Geschichte, sportliche Errungenschaften, Wappen, Trophäen, Stadion, Liste der Spieler, historische Persönlichkeiten usw., die ihn von allen anderen Vereinen unterscheiden. Das Zusammenkommen mehrerer solcher Kriterien kann dazu führen, dass der Verein als „sportlicher Nachfolger“ angesehen wird. Der sportliche Nachfolger eines aufgelösten Vereins kann zur Befriedigung der Verpflichtungen des ehemaligen Vereins verantwortlich gemacht werden, selbst wenn der Nachfolger [bei den alten Verpflichtungen] nicht Vertragspartei ist.
Der Begriff der „sportlichen Nachfolge“
In diesem Text wird auf eine rund 15 Jahre alte Regelung aus den FIFA Statuten Bezug genommen, die hier offenbar zur Anwendung kommen soll. Auf der Webseite der spanischen Sportrecht-Kanzlei Vandellos Sports Law werden einige wegweisende Präzedenz-Urteile genannt, die wir hier kurz zusammenfassen:
- Ein von einem anderen Unternehmen übernommener Club spielte in der selben Liga weiter, statt in die niedrigste herabgestuft zu werden und trat unter dem selben Namen auf.
- Ein neuer Club, der unter einer anderen juristischen Person existierte, wurde dennoch als Nachfolger eingestuft, da er „für alle praktischen Zwecke“ als der selbe betrachtet werden könne.
- ein Club war mit einer neuen juristischen Person neu gegründet worden, hatte Symbole, Hymne, Trohpähen etc. auf einer öffentlichen Auktion vom bankrotten Vorgänger erworben, trat weiter in der selben Spieklasse an, war in der selben Stadt beheimatet, wurde daher letztendlich als „legaler Nachfolger“ des alten Clubs eingestuft.
- Weitere genannte Fälle waren ähnlich gelagert, neu hinzu kamen noch als Anhaltspunkte die selbe Adresse des alten und neuen Clubs sowie der selbe Direktor.
Beispiele, wo ein neuer Club durch das Gericht nicht als „sportlicher Nachfolger“ klassifiziert wurde, wurden leider nicht genannt. Nach Einschätzung der Autoren geht es in der aktuellen Rechtssprechung zu dem Thema nicht um eine einzige Frage, sondern um eine ganze Reihe verschiedener Aspekte, die alle berücksichtigt werden müssen, nicht zuletzt auch, ob eine Absicht, Gläubiger um ihr Geld zu bringen, erkennbar ist. Für die vollständigen Beispiele und eine ausführliche Diskussion empfehlen wir, den Artikel direkt in voller Länge zu lesen.
Ein anderer interessannter Aspekt trat im FIFA-Urteil gegen den Usbekischen Club FK Andijon von 2019 in Erscheinung: Der alte Club, „Andijon Professional Futbol Klub“, war banrkrott gegangen, existierte aber noch, war jedoch nicht mehr im usbekischen Fußballverband und hatte damit seine indirekte Mitgliedschaft in der FIFA verloren, die dadurch keine Sanktionen mehr gegen ihn erheben konnte. Die Tatsache, dass die juristische Person des Schuldners noch existierte, spielte daher keine entscheidende Rolle, vielmehr, dass – wie schon oben in den Beispielen erwähnt – Name, Farben, Wappen, Fans, Geschichte, Spieler, Stadion usw. die gleichen waren. Das Verfahren endete letztlich aus anderen Gründen mit einem Freispruch für den Beklagten, die aber für den „Fall Karpaty“ nicht relevant sind, so dass wir nicht näher darauf eingehen.
Was davon ist relevant im „Fall Karpaty“?
Die Frage hier lautet also: Erfüllt Karpaty Lviv (neu) die Kriterien, als „sportlicher Nachfolger“ des untergegangenen PFK Karpaty Lviv (alt) gesehen zu werden bis zu dem Punkt, dass er für dessen alte Schulden aufkommen muss? Wir haben gelernt, dass, wenn „mehrere“ aus einer Liste von Kriterien erfüllt sind, zu einem solchen Schluss gekommen werden kann. Schauen wir uns einmal auf Grundlage der o.g. Kriterien an, welche in diesem Fall als „erfüllt“ gelten könnten:
- Name – Karpaty Lviv (ob „PFK“ o.ä., spielt hier sicher kaum eine Rolle)
- Farben – grünweiß
- Wappen – original, da von den Ultras übernommen
- Stadt – Lviv
- Stadion – das selbe, wobei – interessantes Detail – der Mietvertrag ein neuer ist (der alte Club hatte das Stadion praktisch umsonst erhalten)
Das ist tatsächlich ein größerer Teil der Liste. Hinzu noch weitere Aspekte:
- Die Akademie – wie viel hat die Akademie des neuen Clubs mit der des alten zu tun? Wurde sie übertragen? Oder neu gegründet?
- Das (im Bau befindliche) Vereinszentrum – das Projekt war vom alten Club begonnen worden und nun vom neuen fortgeführt. Um was für eine Art der Übertragung handelt es sich hier, wurde die Immobilie käuflich erworben?
Hier stehen aus unserer Sicht zwei Fragezeichen, da wir schließlich über die Details zu diesen beiden Punkten nicht informiert sind. Sicherlich wird dies, sollte der Austausch mit der UEFA sich in eine bedrohliche Richtung entwickeln, ein Thema sein, mit dem die Anwälte des Clubs sich werden beschäftigen müssen.
Auf der anderen Seite stehen drei Aspekte, in denen sich dieser Fall von anderen unterscheiden könnte und die bei der Beurteilung durch die UEFA möglicherweise von Belang sein könnten:
- Ist es möglich, unter Berufung auf die „sportliche Nachfolge“ die Schulden von einer noch existierenden juristischen Person zu übertragen, die ja sogar explizit erklärt hat, sie würde vor allem zum Zweck der weiteren Tilgung alter Schulden weiter existieren? Schließlich hat der alte PFK Karpaty in seinen Aktiva noch eine nicht unerhebliche Forderung gegenüber River Plate für den Carrascal-Transfer von 2020, die für die Tilgung zumindest eines größeren Teils der alten Schulden reichen sollte. Allerdings ist er unseres Wissens nicht mehr im ukrainischen Fußballverband und hat dadurch seine indirekte FIFA-Mitgliedschaft verloren, die dadurch über ihn keine Sanktionen mehr verhängen kann (siehe oben).
- Die Gründer des neuen Clubs standen und stehen in keinerlei Verbindung mit den Betreibern des alten, verbaten sich sogar explizit, mit dem alten in Verbindung gebracht zu werden. In anderne Fällen dürfte eine so konsequente Distanzierung nicht stattgefunden haben.
- Der neue Club nahm sogar schon in der Amateurliga am Spielbetrieb teil (und qualifizierte sich am Saisonende für die Druha Liha), während der alte noch in der Druha Liha spielte, wodurch noch deutlicher sein sollte, wie unabhängig beide Clubs voneinander sind.
Fazit
Zu welchem Schluss die UEFA am Ende kommt, ob es zu einem Verfahren gegen Karpaty Lviv kommt und welches Urteil in einem solchen Fall am Ende das Schiedsgericht treffen wird, bleibt vorerst Gegenstand von Spekulation. Für den Nichtjuristen entsteht allerdings der Eindruck, dass von den Kriterien, die für derartige Entscheidungen in der Vergangenheit herangezogen wurden, hier eine größere Zahl scheinbar erfüllt sind, was doch Anlass zu erheblicher Sorge gibt.
In jedem Fall tun Karpaty und der ukrainische Fußballverband gut daran, die Sache ernst zu nehmen und eine gute Strategie zur Beantwortung all dieser Fragen zu entwickeln. Es spricht vieles dafür, dass sie genau das tun.